Freitag, 11. April 2003
Die Realität des Kriegs
von Dr. Marc Faber
Es gibt einen wichtigen Punkt, den Investoren beachten sollten, aber der in den friedlichen Jahren der Spekulationsblase in den 1990ern übersehen worden ist: Kriege sind in der Weltgeschichte durchaus üblich; es sind die Friedenszeiten, die die Ausnahme sind. Laut dem Historiker Will Durant ist der Krieg eine der Konstanten der Geschichte, und er ist mit der Zivilisation oder der Demokratie nicht untergegangen. In den letzten 3.421 Jahren der aufgezeichneten Weltgeschichte gab es nur 268 Jahre ohne einen Krieg auf der Welt.
Nehmen Sie nur den Zeitraum von 1895 bis 1918. In dieser kurzen Spanne gab es zahlreiche Konflikte in der Welt, inklusive des russisch-japanischen Kriegs (1895), den Krieg zwischen der Türkei und Griechenland wegen Kreta (1897), den spanisch-amerikanischen Krieg von 1898, den Krieg der Briten gegen die Buren (1899–1902), den "Boxeraufstand" und China und die folgenden militärischen Expeditionen der Großmächte in China im Jahr 1900, den russisch-japanischen Krieg von 1905, die türkische Revolution von 1908, die französische Besetzung von Marokko (1907), den militärischen Konflikt zwischen Italien und der Türkei über Tripolis (1911), den ersten Balkankrieg (1912), den zweiten Balkankrieg (1913), die chinesische Revolution von 1911, den Ersten Weltkrieg (1914–1918), die Revolution in Russland (1917) und den russischen Bürgerkrieg (1917–1921).
Laut Durant waren die Kriegsgründe die gleichen Gründe, die zu Wettbewerb unter Individuen führen: Stolz, der Wunsch nach Land, Rohstoffen, und Machtstreben. Der Staat hat unsere Instinkte ohne Einschränkung übernommen. Beim Individuum sind diese Einschränkungen wegen Moral und Gesetzen vorhanden; auf Ebene der Individuen wird der Kampf durch Verhandlungen ersetzt, denn der Staat garantiert den Individuen den Schutz ihres Lebens, des Besitzes und der gesetzlichen Rechte. Aber der Staat selbst erkennt keine Begrenzungen an, entweder weil er stark genug ist, um jede Einmischung abweisen zu können, oder weil es keine übergeordnete Institution gibt, kein internationales Richt oder keine effektive supranationale moralische Instanz.
Was im Fall des Irak zutrifft, überlasse ich Ihrer Einschätzung.
Ich bin nicht der Ansicht, dass die nächsten 20 Jahre notwendigerweise so turbulent werden müssen wie die ersten 20 Jahre des 20. Jahrhunderts. Aber wir müssen realisieren, dass die späten 1980er und die 1990er aus historischer Sicht extrem ungewöhnlich waren, denn abgesehen von einigen kleineren Konflikten gab es keine größeren Kriege oder Revolutionen. Aus Gründen der Wahrscheinlichkeit sollten die Investoren deshalb nicht erwarten, dass die Friedensdividende, die wir die letzten 15 Jahre genießen konnten, für immer weitergezahlt wird.
Diese Friedensdividende, die auf den Kalten Krieg folgte, war sicherlich ein Beitrag zu den höheren Aktienkursen weltweit (neben den fallenden Zinssätzen und den steigenden Gewinnen). Wenn die Welt sich jetzt in eine Ära der steigenden Spannungen bewegt, dann wird das hingegen ein zusätzlicher negativer Faktor für die Bewertungen der Aktienkurse sein. Hinzu kommt, dass der Frieden in den 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen rapiden Anstieg des Welthandels erlaubte, was einen wirklichen globalen Kapitalmarkt geschaffen hat. Beides war für die Entwicklung der Weltwirtschaft positiv. Der Handel als Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Welt stieg von ca. 5 % im Jahr 1950 auf derzeit über 20 %.
Hinzu kommt, dass die internationalen Kapitalströme seit den späten 1980ern (als ein wirklich globaler Kapitalmarkt geschaffen worden war) den Investment-Boom in den sogenannten "Emerging Markets" Anfang der 1990er finanzierten. In den letzten paar Jahren haben diese Kapitalströme den exzessiven Konsum der US-Verbraucher finanziert, was sich im wachsenden amerikanischen Leistungsbilanzdefizit widerspiegelt.
Wenn wir annehmen, dass der wachsende Welthandel und der Anstieg der globalen Finanzströme etwas mit dem Weltfrieden der 1990er zu tun haben, dann sollten wir auch annehmen, dass diese Trends durch wachsende geopolitische Spannungen und besonders durch einen größeren Konflikt negativ beeinflusst werden. Im schlimmsten Fall könnten ernste geopolitische Spannungen zu einer Unterbrechung des Freihandels und der internationalen Finanzströme führen, was Güterknappheit, Handelsembargos und Handelskriege bringen würde, Devisenkontrollen und im allerschlimmsten Fall die Enteignung von ausländischen Anlagegütern.
Kurz gesagt,: Die Finanzmärkte scheinen mir besonders verwundbar zu sein, denn sie sind im Vergleich zur "realen Wirtschaft" überproportional groß geworden. Ein Punkt ist mir klar geworden. Es ist wahrscheinlich, dass der Derivatemarkt beim nächsten großen Konflikt in der Welt aufhören wird zu existieren, denn überall in der Welt halten Finanzinstitutionen Derivate. Deshalb wird es eine Kettenreaktion geben, wenn ein großer Mitspieler irgendwo in der Welt seinen Lieferverpflichtungen nicht nachkommt – als Resultat davon werden diese Märkte geschlossen werden.
Es ist nicht meine Absicht, Alarm zu schlagen, aber ich denke, dass Investoren, die in den letzten 50 Jahren aufgewachsen sind, keine Ahnung haben, was für unangenehme finanzielle und wirtschaftliche Konsequenzen ein großer Konflikt bringen kann. In der Geschichte waren das Einfrieren von Vermögen, die Aufstellung von Devisenkontrollen und Enteignungen durchaus normal, und ich auch habe keine Zweifel, dass wir in der Zukunft solche Notmaßnahmen wieder sehen werden. Deshalb sollten die Investoren nicht nur darüber nachdenken, wie sie ihr Vermögen diversifizieren, sondern auch, wie sie dieses Vermögen überhaupt erhalten können.
Wenn man sein gesamtes Vermögen in nur einem Land anlegt, dann könnte das im Zeitalter steigender Risiken internationaler Konflikte nicht klug sein. Konsequenterweise sollte man auch über Anlagen bei einer ausländischen Bank oder über Immobilienbesitz im Ausland nachdenken.
Eine solche diversifizierte Allokation ist eine wichtige – wenn nicht essentielle – Absicherung gegen die negativen Konsequenzen eines großen Konflikts.
Quelle: Investor's Daily
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